Mensch und Welt im Glas

Ursula Merker beweist die Vielfalt des zerbrechlichen Materials

Ursula Merker vor einem Glasdruck der Serie „Afra“

Ursula Merker vor einem Glasdruck der Serie „Afra“

„Ich erzähle gern Geschichten – auf Glas!“ erklärt Ursula Merker, wenn man sie auf ihr künstlerisches Schaffen anspricht. Ihre in warmen Farben schimmernden Vasen und Schalen tragen Titel, die den Betrachter nachdenklich machen: „Gespräche“, „Begegnung“, „Das Paradies ist überall“, „Herausrufen-Hineinhören“, „Zusammenleben“, „Der Traum vom Fliegen“, „Netzwerk“ oder „Komm wir gehen“. Die zart-transparenten oder deckenden Gravuren charakterisieren treffend menschliche Körper, Tiere und Pflanzen, bewegt oder in sich ruhend, oder ihre Wechselbeziehung in zeichenhafter Vereinfachung. Manche ihrer Arbeiten sind auch ein Appell, den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Dazu gehört die Serie „Scherenschnitte“, deren Darstellungen eine wörtliche Umsetzung des Begriffs sind oder ihre phantasievoll gestalteten Ringe und Flaschenverschlüsse. Ihre jüngsten Arbeiten schuf sie zum Thema „Menschenbilder“. Diese subtilen Porträts stehen durch die Sorgfalt und Genauigkeit, mit der die Charaktere erfasst sind, in bester künstlerischer und handwerklicher Tradition.

Ursula Merker wurde 1939 Hohenstadt (Mähren) geboren und ist in Kelheim (Niederbayern) ansässig. Seit 1980 arbeitet sie mit dem Werkstoff Glas. Alle erforderlichen Techniken dazu hat sie sich autodidaktisch angeeignet. Dies hatte den Vorteil, dass sie nie akademischen Zwängen unterworfen war und ihre eigenen Interessen und Ideen frei entwickeln konnte. Seit 1982 ist sie erfolgreich freischaffend tätig. Ihr Hauptwerkzeug ist das Sandstrahl-Gerät, mit dem sie Gravuren in Glas so anfertigen kann wie ein Bildhauer ein Relief. Ursula Merker stellt ihre Arbeit unter das Motto: „Erst der Kopf und dann das Glas.“ Um ihre Aussagen möglichst prägnant umzusetzen, versucht sie, den Werkstoff Glas in seiner ganzen Vielseitigkeit zu nützen. So kombiniert sie ihn auch mit anderen Materialien wie Elementen aus Holz, Metall oder Kunststoff. Dabei wählt sie Dinge die charakteristisch für unseren Alltag sind, zum Beispiel Autotüren oder Weinflaschen.

Aus der Serie

Der berühmte tschechischen Glasschneider Professor Jirí Harcuba, mittlerweile ein enger Freund, regte sie an, das Drucken mit gravierten Glasplatten für die eigenen Zwecke weiter zu entwickeln. Ursula Merker entdeckte dadurch für sich neue Möglichkeiten des Tief-, Hoch- und Prägedruckes und schuf eine stattliche Anzahl aussagekräftiger Bilder.

„Warten auf Spargel“

„Warten auf Spargel“, Installation in der ehemaligen Stadtmauer von Abensberg

Der Ideenreichtum der Künstlerin zeigt sich auch in den monumentalen Kunstwerken aus Glas, die sie in der freien Natur aufstellt. 1988 ließ sie „Gläserne Schiffe“ auf dem Main-Donau-Kanal bei Essing zu Wasser; eine Anspielung auf die Umwandlung des einst von Altwasserarmen geprägten, idyllischen Altmühltals in eine begradigte Kanallandschaft. Seitdem hat sie mit rund zwanzig Arbeiten unterschiedlichster Art in der Landschaft auf die Herausforderungen des jeweiligen Ortes und der aktuellen Situation Stellung genommen. Dazu gehören die Spiegel-Arche des Noah auf dem Monte Kaolino in Hirschau in der Oberpfalz, ein riesiges Tisch-und-Stuhl-Objekt mit dem Titel „Fischessen“ an der Donau bei Neustadt, die preisgekrönte Installation „Mahnen am Fluss“ für das „Kristallnacht-Projekt“ in Philadelphia 1998 und „Warten auf Spargel“, die jüngste Installation in einem der Stadttürme von Abensberg, dem Zentrum des Spargelanbaus in Niederbayern. Hier steht unter einem Kristalllüster ein Glastisch, auf dem zwei Gedecke, Kerzenleuchter und Gläser drapiert sind. Die leere rote Schale in der Tischmitte ist für das Edelgemüse vorgesehen, um das viele Feinschmecker ein großes Brimborium machen und dessen Ertrag für die Region große wirtschaftliche Bedeutung hat.

Ursula Merkers Arbeiten waren schon in vielen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen. 2009 wurde die ganze Bandbreite ihres nun dreißigjährigen Schaffens mit einer umfangreichen Schau im Deggendorfer Handwerksmuseum gewürdigt. Die Künstlerin ist vielfach ausgezeichnet worden. Unter anderem ging der Bayerwald-Glaspreis schon dreimal an sie. 1999 wurde ihr der Sudetendeutsche Kulturpreis verliehen. Durch Gastdozenturen in Deutschland, Tschechien, Frankreich, England, der Türkei und Estland gibt sie ihr Wissen weiter. In Niederbayern ist Ursula Merker vor allem mit dem Ort Frauenau verbunden. Seit vielen Jahren leitet sie dort Kurse an der Sommerakademie im Bild-Werk, einem internationalen Treffpunkt für Bildende Kunst und Kultur im Bayerischen Wald. Auch ihre erste Einzelausstellung fand 1989 hier im Glasmuseum statt. Eine ideale Unterstützung und Ergänzung ihrer künstlerischen Aktivitäten hat Merker in ihrem Lebenspartner gefunden. Denn für ihren Mann Gernot dreht sich ebenfalls alles um das zerbrechliche Material. Allerdings nähert er sich dem Werkstoff mehr von der theoretischen Seite. Der leidenschaftliche Glassammler schrieb schon zahlreiche Fachbücher über die Geschichte, die Artenvielfalt und die einzelnen Künstler der europäischen Glasproduktion.

Text und Fotos: Chr. Riedl-Valder