Filigrane Meisterwerke

Keramik von Gerhard Lutz aus Niederalteich

Gleich beim ersten Anblick dieser Objekte gerät man ins Staunen: Komplizierte, vielfach durchbrochene Gebilde, die an Mikrolebewesen und Wassertiere erinnern, sind feingliedrig aus Porzellan geformt und oft zusätzlich noch von einer urtümlich wirkenden Hülle aus Steinzeug ummantelt. Wie hat er das nur gemacht? lautet die Frage, die Gerhard Lutz wohl am häufigsten von seinen Bewunderern zu hören bekommt. Welche Tricks hat er angewendet, um diese filigranen, äußerst zerbrechlich wirkenden Objekte zu schaffen? Die Regelmäßigkeit ihrer Formen ist faszinierend. Es handelt sich um kugel- oder sternförmige, symmetrisch aufgebaute, oft aus gleichen Vielecken bestehende Formen oder um mit Stacheln besetzte sphärische, durchlöcherte Kapseln, die an Strahlentierchen erinnern. In langwierigen Arbeitsgängen baut der Keramiker seine Objekte oft zwei- oder sogar dreifach ineinander oder lässt sie einander durchdringen. Stücke, bei denen ein zuerst gebranntes Porzellanteil den Kern eines Werkes aus Steinzeug bildet, müssen bis zu viermal gebrannt werden. Durch die Verwendung von Material, das mehr oder weniger feuerfest ist, kann er die Beschaffenheit der Oberflächen beeinflussen. Mit Hilfe unterschiedlicher Metalloxide,-salze und Glasuren erreicht er die gewünschten Farbtöne. Verschiedenartige Brennvorgänge bieten zusätzliche Variationsmöglichkeiten.

Künstlerisches Talent, eine solide Ausbildung, die beständige Lust am Experimentierenund ein immenser Fleiß sind das Geheimnis, das hinter den Meisterwerken steckt, die im Atelier von Gerhard Lutz in Niederalteich bei Deggendorf entstehen. Neben dem Studium der Kunstgeschichte hat Lutz Malerei und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München studiert. Anschließend war er zwei Jahre lang Meisterschüler bei Prof. Kirchner, erhielt 1969 ein Diplom für hervorragende künstlerische Leistungen und absolvierte wenig später auch noch das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. Während des Studiums fand er auch noch Zeit für freie Mitarbeit in der Keramikwerkstatt Friderike May. Ab 1970 wirkte er 45 Jahre lang als Kunsterzieher am St.-Gotthard-Gymnasium in Niederalteich und widmete sich in seiner Freizeit weiteren intensiven Studien. 1977 richtete er sich seine eigene Werkstatt für künstlerische Objektkeramik ein. Seine keramischen Objekte und fotografischen Arbeiten waren bis heute schon in weit über hundert Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen in ganz Europa, in USA, Japan und Neuseeland zu sehen. Eine Reihe von bedeutenden Auszeichnungen unterstreichen den Wert seiner künstlerischen Arbeit. Schon 1983 wurde ihm der Bayerische Staatspreis verliehen; internationale Diplome folgten. Seit 2002 nahm er regelmäßig an der jährlichen MathematiKeramik teil, einer Ausstellung, die Keramik und Mathematik vereinen will. 2011 war er eingeladen, auf der "Heim + Handwerk – Messe“ in München in der Sonderschau "Handwerkskunst" seine aktive Werkstatt zu präsentieren. Ein Jahr später ehrte man den Künstler anlässlich seines 70. Geburtstags mit einer großen Einzelausstellung in der Landshuter Stadtresidenz. Gerhard Lutz ist ein vielfach gefragter Fachmann, der schon in einer Reihe von Workshops sein Wissen weitergab. Aufgrund der komplizierten Technik, die zur Herstellung seiner Kunstobjekte aufgewendet werden muss, hat seine Art der Tonkunst jedoch bislang keine Nachfolger gefunden.

Viele seiner Werke beweisen, dass sich Mathematik und Kunst nicht widersprechen. Lutz orientiert sich im Rahmen seines künstlerischen Schaffensprozess mit Vorliebe an geometrischen Körpern. Er unterwirft sich ihnen jedoch nicht. Seine Kreativität wird dadurch nicht eingeengt. Lutz „übersetzt“ die Gesetze er Mathematik in die uralte Handwerkskunst der Keramik, nimmt sich dabei aber jede denkbare Freiheit und kreiert etwas völlig Neues. Betrachtet man seine Arbeiten, so entdeckt man ein Motiv, um das sein Interesse immer wieder zu kreisen scheint: es ist der Kontrast zwischen einem stark durchbrochenen, zerbrechlichen, aber aufgrund seiner „Stacheln“ durchaus wehrhaft wirkenden Porzellanteils und seinem Mantel aus schwer und massiv wirkenden Steinzeug. Die quasi aufgeplatzte Hülle und der freigewordene, bislang verborgene Kern stehen in einer reizvollen Beziehung zueinander, die in der Natur ihre Parallelen hat. Zeitaufwendige Versuchsreihen waren notwendig, bis es Gerhard Lutz gelang, diese beiden Materialien mit ihren unterschiedlichen Schwindungsgraden in einem Brand miteinander zu verbinden. Eine weitere Lieblingsform sind die Kugelobjekte, die der Künstler aus extrem dünn ausgewalzten Blättern frei aufbaut. Die Werkzeuge, die er für seine Arbeit verwendet, hat er dem zahnmedizinischen Instrumentarium entnommen oder selbst angefertigt.

Gerhard Lutzs Kunstobjekte bilden in sich ruhende Einheiten und wirken im allgemeinen so natürlich, dass sie leicht mit echten vegetativen Formen, wie zum Beispiel Früchten, Pilzen oder Mikrolebewesen, verwechselt werden können. Der Künstler erinnert sich in diesem Zusammenhang gern an folgende Begebenheit: Für eine Ausstellung in der Alten Mühle Eichhofen (Landkreis Regensburg) mussten Fotoaufnahmen seiner Werke gemacht werden. Man wählte dazu einen Platz an der Donau und bemerkte jedoch nach Beendigung der Arbeit nicht, dass man eines der Objekte zurückgelassen hatte. Spaziergänger erzählten ihm daraufhin, sie hätten dort eine seltsame Pflanzenform gefunden, die an seine Kunst erinnern würde. Erst nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass es sich tatsächlich um ein Stück aus seiner Werkstatt handelte.

Christl Riedl-Valder

Weitere Informationen unter www.lutz-tonkunst.de