"… sammeln, was in der Überlieferung des Volkes aus alten Tagen lebt …"

 Das Hauptwerk Franz Xaver v. Schönwerths in einer Neuerscheinung

 

Rechtzeitig zum 200. Geburtstag des großen Oberpfälzer Sitten- und Sagenforschers Franz Xaver von Schönwerth erschien im Pressather Verlag Eckhard Bodner, herausgegeben vom Kulturkreis Pressath, eine Neuausgabe seines Hauptwerkes „Aus der Oberpfalz – Sitten und Sagen“. Der Volkskundler Harald Fähnrich aus Beidl (Landkreis Tirschenreuth), der vor vier Jahren im selben Verlag eine viel beachtete Publikation über „Lebendiges Brauchtum der Oberpfalz“ veröffentlichte, übernahm die Bearbeitung. Er gilt als einer der besten Kenner Schönwerths. Fähnrich hat in jahrelanger Arbeit die Texte der Originalausgabe Schönwerths neu erfassen lassen und um wichtige Zusatzinformationen erweitert.

In diesem Buch wird jeder Leser fündig, der wissen will, was es mit dem Mehlhund, dem Wechselbalg, dem Vorhimmel und der Hölle hinter dem Ofen auf sich hat; der Kennzeichen und Wesen der Oberpfälzer Hexen und die Mittel, mit denen man sie bekämpfen kann, erforschen will; der Bekanntschaft mit den Luftgeistern, den Gespensterwesen und -tieren (z.B. dem „Erdhammel“), den Wasser- und Waldgeistern, den Teufelsmenschen und –geistern machen will; der sich für Liebeszauber, Zaubermittel gegen Zahn- und Kopfweh, Gelbsucht, Gicht, Todeszeichen und alte Bräuche rund um Hochzeit, Geburt und Sterben interessiert. Für alle Oberpfälzer, die eintauchen wollen in die mystische Welt ihrer Ahnen im 19. Jahrhundert, ist dieses Werk die passende Lektüre.

 Der Autor Franz Xaver von Schönwerth (1810 – 1886), ein gebürtiger Amberger, gilt als Wegbereiter für die Volkskunde in der Oberpfalz und darüber hinaus als einer der ersten Kulturhistoriker im deutschsprachigen Raum. Nach dem Regierungsantritt König Maximilians II. im Jahr 1848 stieg er zum Hofsekretär und Vorstand der Kabinettskasse auf. 1851 erhielt er den Posten des Generalsekretärs und Ministerialrates am bayerischen Staatsministerium der Finanzen. Während dieser Zeit als einflussreicher Hofbeamter und Vertrauter König Maximilian II. in München entstand seine bedeutende Sammlung von Sagen, Märchen, Legenden, Schwänken, Sprichwörtern, von Brauchtum und Volksleben in der Oberpfalz. Viel Zeit verwendete er darauf, die in der Landeshauptstadt lebenden Oberpfälzer (meist Dienstboten) nach allem, was sie aus dem Volksleben wussten, zu befragen. Daneben verschickte er auch Fragebögen an ausgewählte Personenkreise in der Oberpfalz. Ganz besonders interessierte Schönwerth die Alltagskultur (Bräuche, Kinderspiele, Kleidung, Nahrungsmittel und Essverhalten, magische Praktiken, Zaubersprüche, Rechtsverständnis usw.). Sein Material stammte von Hunderten von Zuträgern und Gewährsleuten. Auch seine Frau Maria, die eng mit ihrer Heimat Neuenhammer bei Vohenstrauß verbunden war, vermittelte ihm eine große Fülle an heimischem Erzählgut. Ein Teil dieser umfangreichen Forschungsarbeiten aus den 1850er bis 1880er Jahren wurde in den drei Bänden, die 1857, 1858 und 1859 erschienen und jetzt in einer Neuauflage vorliegen, veröffentlicht. Der gesamte Nachlass – laut Fähnrich rund 30.000, meist doppelseitig beschriebene Zettel - befindet sich heute im Archiv des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg und gehört zu den bedeutendsten Beständen seiner Art im deutschsprachigen Raum. Schönwerth bewahrte mit dieser mühsam erstellten Sammlung viel vom Oberpfälzer Volksgut und von den Wertvorstellungen der vorindustriellen Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts vor dem Vergessen. Für Kulturhistoriker, für Heimat- und Brauchtumsforscher bietet sie tiefe Einblicke in alte Oberpfälzer Denkweisen und Lebensstrukturen und stellt deshalb eine unschätzbare Quelle dar.

 Jacob Grimm äußerte sich damals über Schönwerths Leistung voller Hochachtung: „Nirgendwo in ganz Deutschland ist umsichtiger, voller und mit so leisem Gehör gesammelt worden.“ Im Gegensatz zu den geschönten „Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm, die vor allem für die Kinder gedacht waren, wollte Schönwerth nicht „im rosigen Kleider warmer Phantasie“ für seine Leser berichten. Er strebte die authentische Überlieferung der Stoffe und Inhalte an. Im Jahr 1859 verlieh König Maximilian II. an Schönwerth als Anerkennung für seine wissenschaftlichen Leistungen den persönlichen Adel. Ein Großteil seiner Zeitgenossen erkannte jedoch nicht den unschätzbaren Wert dieses Werkes. Schönwerths, im Nachwort seines 3. Bandes geäußerte, eindringliche Bitte an seine Landsleute, seinem Beispiel zu folgen und die alten Überlieferungen zu sammeln, bevor sie in Vergessenheit geraten, fand kein Gehör.

Für die Neuausgabe hat Fähnrich in einem Vorwort Leben, Werk und Bedeutung des Autors ausführlich beschrieben und gewürdigt. Er hat auch erstmals Register der rund 330 Ortschaften, die in den Texten erwähnt sind, und Karten jedes einzelnen Oberpfälzer Landkreises mit den Belegorten erstellt. Außerdem wurde in mühevoller Kleinarbeit ein umfangreiches Personen- und Sachregister angefügt. Die auf diese Weise erschlossenen Texte bieten dem Leser, der sich für bestimmte Orte, Themen und Motive interessiert, ein schnelles Auffinden und eine praktische Handhabe. Für das opulente Werk mit rund 550 Seiten hat der Verlag ein modernes, abwechslungsreiches Schriftbild gewählt. Zahlreiche Illustrationen der jungen Künstlerin Eva Sixt aus Neustadt a.d. Waldnaab bereichern die Publikation mit phantasievollen und ausdrucksstarken Farbtafeln und Zeichnungen. Der Bilmesschneider, die Drud in Gestalt einer Katze, der Sagenkreis von Sonne und Mond, der Teufel als Liebhaber, der Feuergeist, der Wind und die Windin, Wasser-, Erdgeist und Hoymann, der Tod und viele andere Wesen nehmen auf diese Weise vor den Augen des Lesers Gestalt an.

Dem Bearbeiter Harald Fähnrich, dem Verlag Eckhard Bodner und dem Kulturkreis Pressath kommt der große Verdienst zu, dieses Grundlagenwerk zur Oberpfälzer Volkskultur in einer modernen, ungekürzten Neuausgabe, erschlossen durch umfangreiche Register und Ergänzungen, wieder auf den Buchmarkt gebracht zu haben. Zusammen mit der Sagensammlung aus dem Nachlass von Franz Xaver von Schönwerth, die Karl Winkler zusammengestellt hat (erschienen im Verlag Lassleben, Kallmünz; siehe: Die Oberpfalz 2010, S. 130ff) liegt nun eine umfangreiche Stoffsammlung zur alten Oberpfälzer Sagen- und Brauchtumswelt vor, die für jeden interessierten Leser eine Fülle von Anregungen bietet.

Buchtitel Franz Xaver von Schönwerth

Franz Xaver von Schönwerth: Sitten und Sagen aus der Oberpfalz. 

Neuausgabe bearbeitet von Harald Fähnrich. Mit Illustrationen von Eva Sixt. Verlag Eckhard Bodner, Pressath 2010, ISBN-Nr. 978-3-937117-80-5, 29,90 €.

Chr. Riedl-Valder

Aus: Arnika, Zeitschrift des Oberpfälzer Waldvereins 3/2010, S. 193