Lyrik
Der Klangreichtum bairischer Gedichte
Das „Bairische Poeticum“ der edition vulpes präsentiert die Vielfalt der gesamten Dialektregion vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Manche bairische Poeten haben es bis in die Münchner Ruhmeshalle geschafft
Wer kennt schon den „Noutschroa“ des Böhmerwaldlers Zephyrin Zettl (1876-1935)? Dieses Stoßgebet an den „Herrgott üba da Welt“ nennt eine Vielzahl von Wünschen, die nichts an Aktualität eingebüßt haben: „Moch dem Elend an End!“, „Louss net d`Lumpen und Noarrn hausn in Deina Welt!“,“Louss uns net kloaweis verderben!“ und alternativ „Willst net daretten Dei Welt, schlog´s gleih af oamal in Scherbn.“ Böhmerwald und ehemaliges Egerland, wo die Mundart mittlerweile vom Aussterben bedroht ist, sind die östlichsten Ausläufer der bairischen Sprachlandschaft, die sich von Altbayern mit der Oberpfalz, Nieder- und Oberbayern über Österreich bis nach Südtirol erstreckt.
Seit zwölf Jahrhunderten wird hier selbstbewusst auf Bairisch gedichtet. Die neue Anthologie, herausgegeben von dem Sprachwissenschaftler Peter Kasper, bietet davon eine exemplarische Auswahl, die dem Leser in einer regionalen und chronologischen Anordnung möglichst viele Varianten des Dialekts und neben den Klassikern auch vergessene Poeten vorstellt. Am Anfang der Sammlung steht der Wessobrunner Hymnus aus dem Jahr 814, gefolgt von einer Reihe mittelhochdeutscher Beiträge aus Altbayern und Österreich; zum Beispiel Auszüge aus der Carmina Burana, dem Nibelungenlied oder Werken von Walter von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein. Peter Kaspar hat sich die Mühe gemacht, diese Texte ins Bairische zu übertragen. Damit wollte er keine wörtliche Übersetzung liefern. Vielmehr schuf er auf oft originelle Art eine Lesehilfe, die den Zugang zum Verständnis dieser historischen Sprachform wesentlich erleichtert.
Aus dem 19. Jahrhundet sind viele bekannte Autoren wie Franz von Kobell, Ludwig Thoma, Peter Rosegger oder der Wiener Dramatiker Johann Nestroy mit interessanten Beiträgen vertreten. Letzterer resümiert die schulischen Verhältnissen seiner Zeit sarkastisch mit dem Satz:...“Ja, das muß ein´ antreib`n, ein Esel zu bleib´n!“ Neben dem eingangs erwähnten Dichter Zettl kann man in dieser Epoche auch einige neue Entdeckungen machen, wie zum Beispiel die Österreicher Carl Adam Kaltenbrunner („D´Muettersprach“) oder Hans Kloepfer („Da Ruß“).
Die wortgewaltige Ballade „Wödaschwüln“ der Emerenz Meier bildet den Auftakt zum 20. Jahrhundert. Vor allem die Entscheidung über die Beiträge aus der jüngsten Epoche einer mittlerweile vielgestaltigen und themenreichen Mundartszene dürfte dem Herausgeber schwer gefallen sein. Er entschied sich unter anderem für verspielte, in die Lautmusik des Bairischen verliebte Texte von Felix Hoerburger und Joseph Berlinger, ironische Kommentare zum modernen Lebensstil von Friedrich Brandl und Helmut Eckl, ein sarkastisches Märchen über die Globalisierung von Josef Wittmann, existenzielle Aussagen von Bernhard Setzwein und Thaddäus Sturm sowie Josef Fendls Bekenntnis zum Dialekt als Bindeglied zur Heimat und Familie.
Peter Kaspar erhebt mit dieser Sammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Doch seine Auswahl ist sorgfältig abgewogen, läßt die thematische Bandbreite erkennen und hält so manche Entdeckungen bereit, die zur näheren Beschäftigung anregen. Mit dem Buch bietet er dem Leser gleichsam eine Wanderung durch das Bairische und hinterläßt dabei einen überzeugenden Eindruck von der Ausdruckskraft und schöpferischen Vielfalt des Dialekts.
In seinem Nachwort erklärt der Mundartexperte Ludwig Zehetner anschaulich Entwicklungslinien und regionalen Besonderheiten des Bairischen von der mittelhochdeutschen Dichtung bis in die Gegenwart, sowie die Probleme bei der Verschriftlichung des Dialektes. Die „edition vulpes“ ist quasi der Hausverlag Zehetners und führt nicht nur seine beliebte „Basst scho!“ Reihe und sein Wörterbuch „Bairisches Deutsch“ im Programm, sondern widmet sich auch schwerpunktmäßig der Mundart, Namenforschung und Regionalgeschichte.
Peter Kaspar (Hrsg.): Bairisches Poeticum. Mundartgedichte aus zwölf Jahrhunderten.
Mit einem Nachwort von Ludwig Zehetner. edition vulpes Regensburg 2014, 104 S.
ISBN 978-3-939112-51-8, 16,- Euro.
Text und Fotos: Dr. Chr. Riedl-Valder