Die Welt neu erfahren

 Die vielseitigen Aktivitäten der Künstlerin Renate Haimerl-Brosch

Sie verschleiert sich von Kopf bis Fuß mit einer hellblauen Burka, wie sie die Frauen in Afghanistan tragen, und läuft damit an einem warmen Sommertag durch Regensburg. Wie werden die Leute auf diese Aufmachung reagieren? Welche Gedanken kommen ihnen bei meinem Anblick? Wie fühlt man sich selbst unter all den Tüchern? Wird es feindselige Reaktionen geben? Wird jemand versuchen, mich anzusprechen? Diese Fragen beschäftigen Renate Haimerl-Brosch während ihrer Wanderung durch die Fußgängerzonen. Die Künstlerin setzt sich dieser ungewohnten Situation aus, um selbst Neues zu erfahren und um anderen Denkanstöße zu geben. In ihren Werken experimentiert sie mit übernommenen Sichtweisen und Meinungen, präsentiert Alltägliches in überraschend anderen Zusammenhängen und will ihrem Publikum dadurch die Möglichkeit geben, sich selbst und die Welt aus neuer Perspektive zu betrachten. Ihre Installationen, Zeichnungen, Objekte oder Aktionen sollen den Betrachter überraschen, erheitern und aufrütteln. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch und seine Situation in der Gesellschaft. Haimerl-Brosch analysiert kritisch deren Werte, die Tabus und den Umgang mit der Natur. So ist es ganz naheliegend, dass sie für das erste Künstler-Symposion im eigenen Haus in Neukirchen das Thema fand: „Leben auf dem Dorf: gestern, heute, morgen.“ Es handelt sich um den Versuch, ein Bewusstsein für das zu bekommen, was die Menschen bewegt und in welcher Umgebung sie leben.

Portrait Haimerl-Bosch

Renate Haimerl-Brosch kam 1954 in Bogen zur Welt und wuchs in Neukirchen (Landkreis Straubing-Bogen) auf. Sie studierte Soziale Arbeit, Kunsterziehung und Kulturmangement. Seit 1994 beteiligte sie sich mit ihren Werken an Ausstellungen in ganz Bayern, später auch im übrigen Deutschland, in Tschechien und Italien. Ihre Installationen widmeten sich unter anderen den Themen „Mutter und Kind“, „Obdachlosigkeit“, „Hausschlachten“ und „Kleine heile Welten“. Sie hat selbst eine Reihe von vielbeachteten Kulturveranstaltungen organisiert, unter anderem in Regensburg, in Bad Abbach und in ihrem Atelierhaus in Neukirchen. In dem kleinen Ort im Bayerischen Wald wird auch im September ein weiteres Symposion der Bildenden Kunst zum Thema „Vor Ort und Stelle - Öffentliche Plätze“ stattfinden.

Haimerl-Brosch unterrichtet auch als Kunstpädagogin an Regensburger Gymnasien und gibt ihr Wissen seit über zwanzig Jahren in einer Reihe von Seminaren weiter. In ihren Workshops will sie die Kreativität des Teilnehmer beflügeln und sie in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise anregen und unterstützen. Damit darin jeder seine eigenen Ideen entwickeln kann, sind die Titel bewusst allgemein gehalten. „Traumbilder – Raumbilder“ nennt sich der aktuelle Kurs, den sie in der Sommerakademie Gern (Eggenfelden) Anfang August anbietet. In ihrem Atelierhaus in Neukirchen findet einmal im Monat eine offene Werkstube für jedermann statt. Ein besonderes Anliegen ist der Künstlerin die Arbeit mit geistig behinderten Jugendlichen und Erwachsenen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass bei ihnen Gefühle und Bedürfnisse spontaner zum Ausdruck kommen und bei der Arbeit in diesen Gruppen ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis und Toleranz herrscht. In diesem Zusammenhang entstand unter anderem das Projekt "Bunte Vögel" – große, skurrile Figuren, die für die Freiheit des Einzelnen stehen. Sie sollen ausdrücken,dass jeder Mensch mit Respekt und Rücksicht zu behandeln ist, auch wenn er den Richtlinien und Vorstellungen der Allgemeinheit nicht entspricht.

Drahtobjekt von Renate Haimerl-Brosch

 Drahtobjekt von Renate Haimerl-Brosch

Bei der Ausstellung ihrer neuesten Werke in Straubing stehen Phantasieobjekte im Mittelpunkt. Maschinenartige Gebilde und Fahrzeuge, die aus einem Science-Fiction-Film stammen könnten, schweben über den Köpfen der Besucher im Raum. Sie sind mit unterschiedlich dickem Draht geformt und aus Rädern, Rohren, Stangen und Behältnissen zusammengefügt. Ein großer und ein kleinen Wagen rollen auf Drahtschienen Richtung Himmel. Durch die feine Drahttechnik wirken die Skulpturen leicht, luftig und wie dreidimensionale Zeichnungen. In den Exponaten an den Wänden der Galerie Halle II kann man Teile dieser Installation wiederentdecken: kleine, gerahmte oder auf Podesten stehende Drahtobjekte, deren Zierlichkeit fasziniert. Und doch sind die formschönen Dinge, die Renate Haimerl-Brosch kreiert, oft alles andere als gefällig. In ihrem Leuchter "Erntekrone", der auf den ersten Blick flauschig weich erscheint, entdeckt man bei näherer Betrachtung spitze Hühnerkrallen, die aus den weißen Federn herausragen. Sie zerstören die Idylle und signalisieren die Entfremdung des Menschen von seinen Mitgeschöpfen und der Natur. In dem Trickfilm „Schifferl versenken“, der ebenfalls in Straubing zu sehen ist, bewegt sich eine, ebenfalls aus filigranem Draht geformte Walze, bedrohlich auf eine Schar Papierschiffchen zu und begräbt sie letztendlich unter sich. 

„Im Windschatten des großen Wagens”, Installation, Video, Objekt und Grafik von Renate Haimerl-Brosch bis 15. Juni in Straubing, Galerie Halle II im Alten Schlachthof. Öffnungszeiten: Do: 16-20 Uhr, Sa-So: 11-17 Uhr: 29.05. und 09.06. von11-17 Uhr. - Kurs „Traumbilder – Raumbilder. Malerei und experimentelles Farbenspiel in Acry“, Sommerakademie Gern (bei Eggenfelden), 2.-8.8.14. - Atelierhaus, Auf der Au 2, 94362 Neukirchen; Tel. 0941/893793; weitere Informationen www.atelier-punkt.de.

 

Text und Fotos: Chr. Riedl.Valder

Veröffentlicht in: Altbayerische Heimatpost Nr. 25, 2014, S. 27