Die kleine Welt am Strom – Georg Britting und Regensburg

 Zum 50. Todestag des Schriftstellers

Portrait Georg Britting

 

Georg Britting (Foto: Schuldt-Britting-Stiftung)

Bei Generationen von Schülern hat die Lesebuch-Erzählung „Brudermord im Altwasser“ mit der quälend sachlich erzählten Geschichte vom Tod eines Jungen beim wilden Spiel mit den älteren Brüdern einen tiefen Eindruck hinterlassen. Georg Britting veröffentlichte sie im Jahr 1933 zusammen mit einem Reigen von Texten, die alle um die alte Donaustadt Regensburg kreisen, seiner Heimatstadt. Er gab der Sammlung den Titel „Die kleine Welt am Strom“. Das Leben am Fluss hatte Britting in seiner Jugend so intensiv erlebt, dass er sogar irrtümlich seine Geburt auf eine Donauinsel verlegte. „Ich wurde am 17. Februar 1891 auf einer Donauinsel in Regensburg als Sohn eines städtischen technischen Beamten geboren. Von Schulsorgen abgesehen, verbrachte ich eine glückliche Jugend an den Ufern des geliebten Stroms“, schrieb er 1932 in einer Selbstdarstellung für das Jahrbuch der deutschen Dichtung. Tatsächlich aber erblickte er das Licht der Welt im Haus Nummer 3 in der Alten Manggasse. Dessen Nachfolgebau trägt heute eine Gedenktafel, mit der man den großen Sohn der Stadt würdigt. Zusammen mit seinem Zeitgenossen Gottfried Kölwel aus Beratzhausen (siehe Oberpfälzer Heimatspiegel 2009) gehört Georg Britting zu den bedeutendsten Schriftstellern der Oberpfalz. Beide Autoren mussten damals ihre Heimat verlassen und in die Landeshauptstadt München auswandern, um beruflich Erfolg zu haben. Trotzdem spielte die Oberpfalz mit ihrer Landschaft, ihrer Natur und ihrem besonderen Menschenschlag zeitlebens im literarischen Werk von beiden eine große Rolle. 

 

Gedenktafel an Georg Britting

Gedenktafel Alte Manggasse 3 (Foto: Chr. Riedl-Valder)

 

Georg Britting erinnerte sich gern an seine Kindheit in Regensburg. In einem Brief erzählte er darüber: „Jedenfalls verlebte ich meine allererste Kindheit am oberen Wöhrd. Ab meinem zehnten Lebensjahr wohnten wir in der Engelburgergasse, ziemlich weit unten, bei der Oswaldkirche und dort wohnten wir an die 20 Jahre, noch als ich vom Feld zurückkam. (1914 zog Britting als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg) Und wir Buben waren meist unten an der Donau, beim Eisernen Steg, das heißt, als er noch nicht gebaut war, bei der Fähre.... mir genügt es, daß ich immer donaunah gewohnt habe – aber wer kann das in Regensburg nicht von sich sagen?“

Als Zwanzigjähriger begann Britting ab 1911 Gedichte zu veröffentlichen, schrieb Kulturbeiträge für die Regensburger Neuesten Nachrichten, darunter die Serie „Regensburger Bilderbogen“ über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und versuchte, sich als Bühnenautor einen Namen zu machen. Sein erstes Stück „An der Schwelle“ wurde 1913 im Stadttheater Regensburg uraufgeführt. Es erhielt überwiegend positive Kritiken. Britting entschloss sich zu einem Studium an der Königlichen Akademie für Landwirtschaft und Brauerei in Weihenstephan. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, ergriff auch ihn der Enthusiasmus fürs Vaterland und er zog ins Feld. Schwer verwundet kehrte er 1918 nach Regensburg zurück. Nun versuchte er, im Kulturbetrieb Fuß zu fassen. Er arbeitete als Schauspielrezensent der sozialdemokratischen Neuen Donau-Post (ab 1920 Volkswacht für Oberpfalz und Niederbayern). Zusammen mit dem Maler Josef Achmann gründete er die Zeitschrift „Die Sichel. Monatszeitschrift für neue Dichtung und Grafik“. Sie erschien ab Juli 1919, veröffentlichte viele Erstdrucke junger Autoren (neben Britting u.a. Hermann Seyboth, Oskar Maria Graf und Marie Luise Weissmann) und sollte damit einen bedeutenden Beitrag zum deutschen Expressionismus leisten. Ihren Namen „Sichel“ leiteten die beiden Herausgeber aus dem alttestamentarischen Zitat: „Schlaget die Sicheln an / denn die Ernte ist reif“ (Joel, Kap. III, II, 13) ab. Zahlreiche ausdrucksstarke Holzschnitte illustrierten die Texte. Allerdings fanden sich für diese modernen Kunstströmungen in Regensburg kaum Interessenten. Die Stadt war in jener Zeit noch zu sehr in der Provinz verhaftet. Im Zuge der hohen Inflation musste die „Sichel“ nach zwei Jahren eingestellt werden. Georg Britting beschloss, seinem Freund Josef Achmann nach München zu folgen, wo er dann bis zu seinem Tod 1964 als freier Schriftsteller lebte.

Einer seiner Biographen beschrieb sein Leben in München folgendermaßen: „Dort residierte er, ohne sich jemals auf die Widerwärtigkeiten eines bürgerlichen Berufes einzulassen, als Verseschreiber, Geschichtenerzähler und anakreontischer Zecher bis zu seinem Tode“ (Hans Egon Holthusen). In der Landeshauptstadt sollte Britting jedoch zu Ansehen und Ehren kommen. Sein Stück „Die Stubenfliege“ wurde 1923 am Münchner Residenztheater uraufgeführt. Im gleichen Jahr brachte er seinen ersten Prosaband „Der verlachte Hiob“ heraus. Eine seiner Erzählungen erhielt 1928 den Preis des Novellen-Wettbewerbs der Berliner Illustrierten. Der Ullstein-Verlag bezahlte ihm zur selben Zeit ein zweijähriges Stipendium. 1930 kam sein erster Lyrikband unter dem Titel „Gedichte“ heraus. Brittings ausdrucksstarke und bilderreiche Sprache fand viele Bewunderer. Dabei beinhalten seine Dichtung, seine Erzählungen, Dramen und journalistische Beiträge häufig regionale Bezüge zu seiner Heimatstadt. So lieferte er zum Beispiel 1925 für die Frankfurter Zeitung eine Beschreibung Regensburgs voller poetischer Betrachtungen und origineller Vergleiche. Darin heißt es unter anderem: „... Die alte, steinerne Brücke führt über die Donau, nicht schnell und hitzig wie die neuen Eisenstege, nicht in kühnen Bogen und gewagten Kurven, sie geht schwer und bedächtig hinüber, auf den steinernen Pfeilerschuhen, aber hinüber geht sie und kommt an, kommt gerade so gut an wie die hurtigen Springer von heute. Vom Ufer tut sie den ersten Schritt, dann brummen die Wellen um ihre Steinfließenfüße, und dann ist sie drüben, in Stadtamhof, einem kleinen Städtchen, das wie eine Warze an dem großen Gesicht der größeren Stadt hängt. ...“ (zitiert nach der Textvorlage „Regensburg“ unter www.britting.de)

An den Anfang seiner Textsammlung „Die kleine Welt am Strom“ stellte der Schriftsteller folgendes Gedicht:

 

Der Strom

Der große Strom kam breit hergeflossen

Wie ein großer, silberner Fisch. Wälder warn seine Flossen.

Mit dem hellen Schwanz hat er am Himmel angestoßen.

So schwamm er schnaubend in die Ebene hinein.

Licht wogte um ihn, dunstiger Schein.

Dann war nur mehr er, nur mehr er, der silberne, nur mehr er allein.

 

Der bildliche Vergleich der Donau mit einem riesigen, glänzenden Fisch, der sich durch die Landschaft windet, ist reizvoll und treffend zugleich. Und die Vermutung liegt nahe, dass Britting mit diesem Buch in Erinnerung an seine Jugendzeit der Heimatstadt ein romantisch angehauchtes Denkmal setzen wollte. Doch der Schein trügt. Die Textsammlung beschwört keine heimatliche Idylle. In den acht Gedichte und sieben Erzählungen lieferte Britting vielmehr amüsante, groteske aber auch rätselhafte, verwirrende und beängstigende Episoden vom Leben am Ufer der Donau. Es sind Facetten eines größeren Ganzen. Sie handeln von Exoten der Stadtgesellschaft, von Bubenstreichen, Ehebruch und Ehrenverletzungen, von drückend heißen Sommern am schlammigen, modrigen Wasser und grünschwarzen, von Fliegen umschwärmten Tümpeln, von bedrohlichem Hochwasser, von Fischern und ihrem Handwerk, von Knabenspielen und tödlichen Unfällen. Der Strom, an dessen Ufern sich all diese menschlichen Tragödien abspielen, ist nicht versöhnlich und harmonisch, sondern der große Gleichgültige, in dem man schwimmt oder sich ertränkt oder ertränkt wird. Diese Texte sind eine Sammlung von Extremsituationen; Beispiele für das Tragische und Irrationale in der menschlichen Existenz und den tagtäglichen Überlebenskampf. Sie vermitteln das Ausgeliefertsein des Menschen an unwägbare Katastrophen und ein willkürliches Schicksal in der Unendlichkeit von Raum und Zeit.

Britting erweist sich in seinen Beschreibungen als hervorragender Menschenkenner. Er widmete sich, wohl vor dem Hintergrund der erlebten Grausamkeiten der Kriege, oft dem Grotesken, dem Unheimlichen und ging der Frage nach, wie das Böse entsteht. "Vielleicht ist unser ganzes Weltbild falsch. Wir vergessen die dunkle Tiefe, das Grauen, das uns täglich umgibt, das uns nahe gerückt ist. Man weiß nicht, wie der Mensch eigentlich ist. Gut auf keinen Fall. Jedenfalls gibt es nichts, was es nicht gibt. Man müsste also auch in der Dichtung alles Licht auf dem dunklen Hintergrund aufbauen und den wunderlichen Mut bewundern, mit dem wir zu leben wagen“, äußerte er sich einmal.

Während der Zeit des Nationalsozialismus gelang es Britting, eine politisch unauffällige Existenz zu führen. Er vermied den offenen Konflikt. Bis 1944 veröffentlichte er die meisten Gedichte und Prosastücke in der Zeitschrift „Das innere Reich“, in der etliche Vertreter der inneren Emigration publizierten. Da er als politisch unbelastet galt, konnte er in der Nachkriegszeit sofort wieder tätig werden. 1946 heiratete er die rund 30 Jahre jüngere Schauspielerin Ingeborg Fröhlich. Britting, der zeitweise in Geldnöten war und als Junggeselle nur spartanische Wohnverhältnisse kannte, gelang es erst fünf Jahre später, für sich und seine Frau eine gemeinsame Wohnung zu finanzieren. Ab 1951 wohnten sie am Sankt-Anna-Platz im Münchner Stadtteil Lehel. Britting machte sich als Gründungsmitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verdient und wirkte in dieser Institution neben Hans Carossa, Ina Seidel, Alfred Kubin, Edwin Scharff, Max Unold, Richard Strauss, Hans Pfitzner, Carl Orff, Karl Caspar und anderen Persönlichkeiten des damaligen Kulturlebens. Im Rahmen seiner Möglichkeiten förderte er junge Autoren wie Heinz Piontek, Walter Höllerer und Albert von Schirnding. In späteren Jahren wurde er mit einer Reihe von Auszeichnungen gewürdigt, darunter auch mit dem Bayerischen Verdienstorden, dem große Bundesverdienstkreuz und einigen bedeutenden literarischen Preisen. Am 3. April 2000 erfolgte die feierliche Enthüllung der Marmorbüste Georg Brittings, die der Bildhauer Max Wagner angefertigt hatte, in der Ruhmeshalle über der Theresienwiese in München. Die Stadt Regensburg hatte Britting bereits 1951 die Albertus-Magnus-Medaille verliehen.

Nach seinem Tod am 27. April 1964 kümmerte sich die Witwe in aufopfernder Weise um das literarische Erbe ihres Mannes. Sie unterstützte die Gesamtausgabe seiner Werke, die ab den 1980er Jahren erschien. Später sorgte sie für die Publikation seiner Briefwechsel und der Theaterkritiken. In dem Buch „Sankt-Anna-Platz 10“ hielt Ingeborg Schuldt-Britting ihre Erinnerungen an das Leben mit Georg Britting für die Nachwelt fest. Ihr zweiter Ehemann Hans-Joachim Schuldt unterstützte sie bei diesen Bemühungen nachhaltig. Gemeinsam gründeten sie 2007 die Georg-Britting-Stiftung, die seitdem dafür Sorge trägt, dass dieser bedeutende Oberpfälzer Schriftsteller nicht in Vergessenheit gerät.

Quellen: www.britting.de; Georg Britting, Sämtliche Werke, Taschenbuchausgabe in 23 Bänden. Hrsg. von Ingeborg Schuldt-Britting. Höhenmoos (Georg-Britting-Stiftung) 2008.

 

Text: Chr. Riedl-Valder

 

Der Beitrag wurde im Oberpfälzer Heimatspiegel 2014 (Verlag E. Bodner, Pressath) veröffentlicht.