Der Mensch - Wanderer zwischen Erd- und Himmelreich

 Ein Portrait des Oberpfälzer Dichters Gottfried Kölwel

 von Dr. Christine Riedl-Valder

 

Den Anstoß zu der großen Veranstaltungsreihe „Literaturtage im Oberpfälzer Jura“, die der Markt Beratzhausen im Jahr 2006 organisierte, gab das Anliegen, an die Leistungen des Dichters Gottfried Kölwel (1889-1958) zu erinnern. Er und der Regensburger Georg Britting gelten heute als die bedeutendsten Autoren der Oberpfalz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kölwel verbrachte seine Kindheit und Jugendjahre in Beratzhausen. Darüber schrieb er selbst:

"Zu Beratzhausen in der Oberpfalz, einem uralten bayerischen Marktflecken, den schon Wolfram von Eschenbach besang und wo Paracelsus zeitweise an seinen Werken schrieb, kam ich im Oktober des Jahres 1889, gerade um die Zeit der Kirchweih, in einem gleichfalls uralten Haus zur Welt…Zwischen Bürgern und Bauern, auf sommerheißen Jurafelsen, zwischen Blumen und Heu, unter blühenden und fruchtenden Gartenbäumen, nachts bei verbotenem Kartenspiel, im Weihrauch der Hexennächte, unter prickelnden Christbäumen, mit Hunden, Katzen, Füchsen und bunten, selbstgemachten Marionetten verlachte und vergrübelte ich meine erste Jugend…Als vierzehnjähriger, blasengelbackiger Bub schrieb ich vor klaffenden Lehrbüchern meine ersten, herzlich schlechten Frühlings-, Wald- und Gewitterverse…Diese Neigung zur Literatur war so selbstverständlich, ja, ich möchte fast sagen, sie war mir eingewachsen wie Auge, Nase, Ohr und Herz, so dass ich neben dem Leben selbst nichts Bewegenderes kannte als sie. Es drängte, ja, es bedrängte mich förmlich, alles Innere nach außen zu formen…"

Von 1912 an war er in München als Lehrer tätig und kam in Kontakt mit Dichtergrößen seiner Zeit; darunter waren Rainer Maria Rilke, Frank Kafka, Alfred Döblin. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber betreute die Veröffentlichung seines Gedichtbandes „Gesänge gegen den Tod“ in der bedeutenden Expressionismus-Reihe „Der jüngste Tag“ des Leipziger Kurt-Wolff-Verlags. Diese Publikation begründete zusammen mit dem Lyrikband „Die frühe Landschaft“ und den Gedichten „Erhebung“ den Erfolg Kölwels als ausdrucksstarken Lyriker. Der Bilderreichtum seiner Sprache entsprang seiner engen Verbundenheit mit der Natur und allen Lebewesen. Daher kam auch sein tief empfundenes Mitleiden mit dem Schicksal aller Kreaturen, egal ob es sich um das bedrohte Leben einer Ameise oder um die hungernden Menschen in der Großstadt handelte. Schon in seinem Frühwerk wird das Wandern und Reisen in seiner übertragenen Bedeutung als Fortschreiten auf dem Lebensweg ein zentrales Motiv seiner Dichtung:

"Es geht der Mensch, dem Wandrer gleich,

stets zwischen Erd- und Himmelreich,

Er ahnt das oben, ahnt das Unten,

er wird erfreut und wird geschunden,

Er lacht und weint, er steht und fällt,

solang er lebt in dieser Welt…"

(Vorspruch zu dem Drama „Der Hoimann“)

Die Erinnerungen an seiner Kindheit- und Jugendzeit in Beratzhausen hat Gottfried Kölwel in vielen seiner Werke verarbeitet; z.B. im „Jahr der Kindheit“, im „Bayernspiegel. Heitere Geschichten aus Stadt und Land“ u.a.. VieleOrts- und Lebensbezüge zur Oberpfälzer Heimat sind konkret nachweisbar, werden aber an entscheidenden Stellen oft dichterisch überhöht. Der Autor hat schon im Nachwort zu seinem Buch „Bertolzhausen“ - mit dem er natürlich seinem Heimatort Beratzhausen ein Denkmal setzen wollte – im Jahr 1925 angemerkt, dass er keine „Sammlung lustiger Erzählgeschichten“ vorlegen wolle, sondern eine „bayerische Chronik“, in der er das „bäuerlich-bürgerliche Leben zu erfassen trachtete“. Gerade in den späteren Werken erhalten die Erzählungen aus dem Oberpfälzer Jura oft einen betont gleichnishaften Charakter. Der Schriftsteller wollte am Beispiel überschaubarer Orte – für ihn waren das Beratzhausen, die Juralandschaft, die Oberpfalz – Modelle menschlicher Schicksale vorführen„Freilich wollte ich nie eine enge Heimatliteratur schaffen, sondern ich wollte den Menschen zeigen, wie er überall lebt, leidet und sich freut. So wie Stifter den Böhmerwald zum Schauplatz seiner Erzählungen machte, wie Gottfried Keller seine Schweizer Landsleute schilderte, so habe ich meine bayerischen zu schildern versucht, und zwar nicht bloß als bayerische allein, sondern als Menschen überhaupt, die überall im deutschen Land und auch im Ausland verstanden werden“ erklärte Gottfried Kölwel selbst anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft des Marktes Beratzhausen 1949.

Gleichzeitig erkannte er aber auch deutlich die Gefahren der Gegenwart. Er thematisierte in seinen Werken die Schrecken des Krieges, die Ausbeutung der Umwelt, die globale Umweltkatastrophe und auch die Bedrohung durch die Kernenergie, jedoch ohne die Lebensbejahung in Frage zu stellen. Ein berühmter Zeitgenosse bemerkte daher: „Wir leben in einem Zeitalter, in dem die allgemeine Verzweiflung oder die Gleichgültigkeit über alle Grenzen steigt. Wir wissen, dass, wenn die Atombomben platzen, die Vernichtung eine allgemeine sein wird. Was uns bedroht, ist der Untergang der gesamten gesitteten Menschheit. Unter dem Signum dieser Weltangst zu leben, das ist allerdings eine Aufgabe, wie sie bisher noch keiner Menschengeneration zugemutet worden ist. Was bleibt zu tun? – Mit allen Kräften dagegen zu arbeiten, dass der Alptraum, der in unseren Herzen spukt, nicht Wirklichkeit werde. Wir haben einen Vorrat an gutem Zuspruch, der uns bei diesem Kampf hilft, einen Vorrat von lebenspositiven Werten, von begründeten Hoffnungen: die Bibel, Platon, Thomas von Aquin, das Werk Martin Bubers, Flaubert und Goethe…Will man aber statt des alten Meisters einen neueren Autor, so empfehle ich den Dichter Gottfried Kölwel.“ (in: Max Brod, Gibt es noch echte Werte? Manuskript 1960)

Kölwels Aktualität liegt in seiner ganzheitlichen Weltsicht und in seiner Achtung und Fürsorge der Natur gegenüber, die ihn in unseren Augen als einen frühen „Grünen“ erscheinen lassen. Er veröffentlichte zu Lebzeiten acht Gedichtbände, rund 35 Prosabände und Romane, sowie viele Beiträge für Anthologien und Zeitschriften. Einige seiner Bücher haben bekannten Künstler illustriert. Besonders ausdrucksstark sind die Zeichnungen des Österreichers Hans Fronius (1903-1988), die er zu den düsteren Erzählungen „Das Himmelsgericht“ (1951) schuf. Kölwels Buch „Die Stimme der Grille“ wurde für die 1954 in Berlin-Ost publizierte Ausgabe mit Illustrationen von Max Schwimmer (1895-1960) ausgestattet und zu einem großen Verkaufserfolg in der DDR. Die höchste Auszeichnung, die er für sein dichterisches Werk erhielt, war 1951 die Verleihung des Münchner Literaturpreises.

Nach dem Tod des Schriftstellers im Jahr 1958 in München versuchte ein „Kuratorium zur Pflege des dichterischen Werkes von Gottfried Kölwel“ sein Werk lebendig zu erhalten. Prominente Autoren und Wissenschaftler, u.a. auch Heinrich Böll, Georg Britting, Rudolf Hagestange, Hermann Kesten und Tilly Wedekind, gehörten ihm an. Es kam zur Veröffentlichung einer dreibändigen Werkausgabe, die mittlerweile vergriffen ist. Auch alle anderen Bücher von Gottfried Kölwel sind heutzutage nur noch mit viel Glück antiquarisch aufzutreiben. An den Dichter selbst erinnert in der Oberpfalz im Markt Beratzhausen noch sein Geburtshaus, das am heutigen Gottfried-Kölwel-Platz zu finden ist.

Quelle: Gottfried Kölwel: Zwischen oben und unten. Ein Selbstporträt, in: Welt und Wort. Literarische Monatsschrift, 5. Jg., Hf. 5. S. 195f.

Der Beitrag wurde im Oberpfälzer Heimatspiegel 2009 (Verlag E. Bodner, Pressath) publiziert.