Magische Momente mit Prinz Roßzwifl, der Wilden Jagd und dem Singenden Baum

Im Rieglinger Wald wurde der Oberpfälzer Schönwerth-Märchenpfad eröffnet

„Die wilde Jagd“ (Künstler: Korbinian Huber) im Märchenpfad

„Die wilde Jagd“ (Künstler: Korbinian Huber) im Märchenpfad

Der robuste, aus Stein gehauene "Prinz Roßzwifl" empfängt direkt am Eingang die Ankömmlinge. Dieser „Roßzwifl“ - das ist das Oberpfälzer Wort für Mistkäfer- ist gerade mit dem Drehen seiner Mistkugeln beschäftigt und stört sich nicht daran, wenn Kinder auf ihm herumturnen wollen oder ihm den Rücken herunter rutschen. Er erinnert an das Märchen von dem jungen Prinzen, der, weil er die Tiere quälte, zur Strafe in einen Käfer verwandelt wurde. Erst ein Mädchen, dem die kleinen Lebewesen nicht egal waren und das daher Mitleid mit ihm hatte, konnte ihn erlösen.

Ein paar Schritte entfernt hängt hoch über den Köpfen in den Bäumen ein glänzendes, blinkendes Wesen mit Flügeln, Krallen und Leibern aus gehämmertem Kupferblech. Wie schon der „Roßzwifl“ stammt es von Korbinian Huber aus Duggendorf. Ein Zug an dem herabhängenden Seil setzt es in Bewegung, lässt es schwingen und so laut klappern, dass man sich leicht in das Märchen von der „Wilden Jagd“ hinein versetzt fühlt, das folgende Geschichte erzählt:

Ein Schneider ging einst vom Wirtshaus nach Hause. Plötzlich hörte er über sich die „Wilde Jagd“, ein teuflisches Heer, daherkommen. Es klang so, wie wenn viele Hunde bellten und hetzten. Als der Schneider dies hörte, fing er sogleich an mit zu bellen. Da wurde er in die Luft gehoben und weit fortgetragen, bis er schließlich in einem fremden Weltteil ankam. Hier konnte er sich nirgends orientieren und verstand keinen Menschen. Erst nach drei Jahren gelang es ihm, den Weg zurück in seine Heimat zu finden. Die Furcht vor unbekannten und unheimlichen Mächten, denen der Mensch schutzlos ausgeliefert ist und gegen die man sich doch bestmöglich wappnen sollte, spielt dabei eine große Rolle.

Prinz Roßzwifl (Künstler: Korbinian Huber)

Prinz Roßzwifl (Künstler: Korbinian Huber)

Der etwa 400 Meter lange Pfad im Rieglinger Wald beim Walderlebniszentrum der Gemeinde Sinzing (Landkreis Regensburg) entführt Kinder und Erwachsene in die Oberpfälzer Märchenwelt früherer Jahrhunderte. Er erstreckt sich zum Teil auf einem Hohlweg, der seit dem Mittelalter von Regensburg nach Nürnberg verlief. An zwölf Stationen warten Figuren und phantasievolle Spielmöglichkeiten darauf, von den Besuchern entdeckt zu werden. Acht besonders eindrucksvolle und kaum bekannte Waldmärchen wurden hier in Zusammenarbeit mit Künstlern aus der Region bildhaft dargestellt. Ihre Kenntnis verdankt man der Überlieferung durch den Volkskundler Franz Xaver Schönwerth, der sie im 19. Jahrhundert aufgeschrieben hat. Tafeln, die von der Illustratorin Barbara Stefan humorvoll gestaltetet wurden, vermitteln kurzgefasste Informationen und Anregungen zu den Märchen; ihre Darstellungen laden dann zur aktiven Beschäftigung mit ihren Inhalten ein. Auch an die modernen Medien hat man gedacht: per QR-Code an den einzelnen Stationen können Eltern und Kinder über ihre Smartphones die Märchen abrufen.

Die Märchenstation „Teufel und Besenbinder“ erinnert an einen schlauen Handwerker, der eine Wette gegen den Teufel gewann. Bei dieser Gelegenheit wird man auf die Suche geschickt nach den Gaben, die der Wald den Menschen bietet. Ein Ster Brennholz ist nach alter Stapelweise aufgeschlichtet; gespaltenes Bauholz, Ruten, Streu und Pilze finden sich, Butzelkühe (= Zapfen) und Honigkästen hängen in den Bäumen. Auch der „Höydl“, der so viel auf seinem „Kerbholz“ hatte, dass er sich ganz besonders anstrengen musste, um von seinen Sünden losgesprochen zu werden, stellt die Besucher vor einige Aufgaben.

Gleich drei Stationen sind dem Märchen „Das dumme Weib“ gewidmet. Die gute Frau war wirklich wunderlich und hatte mit jedem und allem Mitleid. Das Schmalz, das sie verkaufen sollte, schmierte sie auf die Risse im Feldweg, weil sie meinte, dass sie dessen „Wunden“ dadurch „heilen“ könnte. Das mühsam gewebte Leinen, das sie auf dem Markt anbieten sollte, zerschnitt sie und verwendete die Streifen, um die nackten Bäume „anzukleiden“ und damit vor Kälte zu schützen. Auf diese Weise brachte sie sich und ihren Mann in den Ruin – doch alles nahm ein gutes Ende! Die einzelnen Episoden werden anschaulich vor Augen geführt: den Weg voller Risse gestaltete Renate Christin aus Sinzing, die nackten Birken wurden von Herta Wimmer-Knorr (Kallmünz) bekleidet, das Schlaflager der Eheleute in den Lüften über dem Räuberlager, das zum Probesitzen einlädt, ist nach einer Idee von Helmut Wolf (Regensburg) entstanden.

Am „singenden Baum“, der zentral im Märchenpfad steht, erklingen beim leisesten Windhauch siebzig Klangstäbe, die hoch in den Ästen an einer Spirale hängen. Mit dieser Installation von Heribert Schneider aus Nittenau wird die Geschichte von einem wundersamen Baum erzählt, der sich zu wehren wusste, als ihn ein Schneider mutwillig traktierte und verletzte.

Als Unterstand für Gruppen und Führungen dient der „Palast des Zwergenkönigs“, ein originell gestalteter Holzpavillon mit leuchtender Kristallspitze auf dem Dach. Das dazu gehörige Märchen dreht sich um einen traurigen Zwergenkönig, der alles in seiner Macht stehende unternahm, um die Zuneigung eines schönen Burgfräuleins zu erringen. Er baute ihre einen Kristallpalast, umsorgte sie und schenkte ihr seine liebevolle Aufmerksamkeit. Doch letztlich blieb seine Liebe unerwidert. Nun sitzt der arme König zusammengekauert unter seinem Brokatmantel vor seinem Palast und präsentiert den Gästen des Märchenpfads mit trauriger Miene seine Krone, die ihm bei all seinen Bemühungen nichts geholfen hat. Engelbert Süß aus Pfreimd hat seiner Bronzefigur durch die Körperhaltung und das Mienenspiel so viel Ausdruckskraft gegeben, dass sie den Betrachter anrührt und Mitleid mit dem Schicksal des Abgewiesenen hervorruft.

Sinzings Bürgermeister Patrick Grossmann mit dem Zwergenkönig (Künstler: Engelbert Süß)

Sinzings Bürgermeister Patrick Grossmann mit dem Zwergenkönig (Künstler: Engelbert Süß)

Inhaltlich beschäftigen sich die hier vorgestellten Oberpfälzer Märchen mit den Ängsten und Sehnsüchten des Menschen, aber auch mit der Natur, die man wertschätzen, schützen und pflegen soll. Ein Hauptziel dieses Freizeitangebots ist es, die Besucher zur Ruhe kommen zu lassen. Sie sollen den Wald als Ort der Entspannung und Meditation erleben und ihre Kreativität neu entdecken. Die Anlage will vor allem auch den Kinder ermöglichen, dass sie mit allen Sinnen Märchen und Natur erleben und begreifen.

Das Projekt wurde von der Franz Xaver von Schönwerth Gesellschaft angeregt. Auf Betreiben von Dr. Adolf Eichenseer, dem ehemaligen Bezirksheimatpfleger, und seiner Frau Erika wurde diese Organisation 2009 ins Leben gerufen, um die Person und das Werk des Oberpfälzer Volkskundlers bekannter zu machen. Franz Xaver von Schönwerth kam 1810 in Amberg zur Welt und arbeitete bis zu seinem Tod 1886 in München als Generalsekretär des bayerischen Königs Maximilian II.. Nach dem Vorbild der Gebrüder Grimm sammelte er die Lebensgewohnheiten, Bräuche, Redensarten, Sagen und Märchen seiner Landsleute. Viele von ihnen arbeiteten damals in München als Dienstboten, da es in der Oberpfalz kaum Verdienstmöglichkeiten gab. Schönwerth befragte sie, schrieb ihre Berichte auf und reiste auch in seine Heimat, um vor Ort zu recherchieren. Neben den drei Büchern, die er zu Lebzeiten veröffentlichte, existiert noch ein umfangreicher schriftlicher Nachlass, aus dem der Großteil der hier vorgestellten Märchen stammt. Erika Eichenseer hat die vielen Erzählungen aus diesem Bestand untersucht. Sie brachte vor vier Jahren eine Auswahl davon als Buch heraus.

Landrätin Tanja Schwaiger mit den beteiligten Künstlern

Mit dem Märchenpfad wurde von den Initiatoren auch ein wertvoller Beitrag zur Heimatkunde geleistet, da auf diese Weise traditionelles Oberpfälzer Erzählgut unters Volk gebracht gemacht wird. Gleichzeitig bietet die Einrichtung einen Abenteuerspielplatz mit unmittelbarem Anschauungsunterricht in der Natur und umweltpädagogischen Anregungen, den Gruppen und Schulklassen nutzen können. Die Finanzierung der Anlage, die bislang 100.000 Euro kostete, aber noch erweitert werden soll, gelang durch die Zusammenarbeit mit dem Landkreis Regensburg, der Gemeinde Sinzing und einer Reihe von Sponsoren. Sie alle haben dazu beigetragen, dass in direkter Nachbarschaft zum Walderlebniszentrum und zum Kletterpark ein zauberhafter Ort der Phantasie entstehen konnte, an dem der Mythos der Oberpfälzer Märchen und Sagen spürbar wird. Und jeder, der die Glückswarze im Gesicht des Zwergenkönigs reibt, darf hoffen, dass einer seiner Wünsche in Erfüllung gehen.

Text und Fotos: Chr. Riedl-Valder

Erika Eichenseer (Hrsg.): Prinz Roßzwifl und andere Märchen aus der Sammlung von Franz Xaver von Schönwerth (1810-1886), Regensburg 2010, ISBN 978-3-937527-32.

Anfahrt zum Oberpfälzer Märchenpfad: A 3, Ausfahrt Sinzing, Richtung Eilsbrunn, Parkplatz des Walderlebnis­zentrums. Ganzjährig zugänglich; Eintritt kostenlos. Führungen jeden 1. Sonntag um 15 Uhr (bis November). Sonderführungen gegen Gebühr (Anmeldung:Tel. 0941-597 2231)

Das Räuberlager; darüber die Bettstatt von Bildhauer Helmut Wolf

Das Räuberlager; darüber die Bettstatt von Bildhauer Helmut Wolf

Beitrag veröffentlicht in: Altbayerische Heimatpost Nr. 43, 2014.